3 Fehler bei "Sisi" - Warum die RTL-Serie für Kenner so enttäuschend ist

Ein Kommentar von Chrissie Schweda

An der neuen „Sisi“–Serie auf RTL missfällt mir und enttäuscht mich das Folgende:

Mein gesamtes Erwachsenenleben habe ich mich intensiv mit der Kaiserin Elisabeth sowie generell mit der Geschichte des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Spätestens seit dem berühmten Musical „Elisabeth“ von Michael Kunze und Sylvester Levay aus dem Jahr 1992 („Ich gehör‘ nur mir!“), aber auch durch zahlreiche informative, fundierte Biographien der letzten Jahrzehnte weiß der an der Kaiserin Interessierte, dass Ernst Marischkas beliebte „Sissi“–Spielfilm–Trilogie aus den 1950er Jahren zwar herzerwärmend, romantisch und schön anzuschauen ist, den schwierigen Charakter dieser für ihre Zeit ungewöhnlichen Frau aber mit einer gehörigen Portion Zuckerguss übergießt.

Umso größer war meine Erwartung, Charakter und Zeit der Kaiserin Elisabeth in dieser neuen Verfilmung, deren Regisseur und Drehbuchautor mit je sechs Folgen in mittlerweile zwei Staffeln ja auch ordentlich viel Sendezeit zur Verfügung stand, einmal realistisch präsentiert zu bekommen. Leider wurde es nichts damit, die Chance wurde vertan.

Ich kann mich beim Zuschauen nicht zurücklehnen und von der Handlung gefangen nehmen lassen. Stattdessen sitze ich mit einem imaginären Notizblock in der Hand und schreibe in Gedanken: „Schon wieder falsch. Frei erfunden. Völlig an den Haaren herbei gezogen.“ Wollte ich alles auflisten, könnte ich einen langen Aufsatz verfassen. Ich nenne stattdessen aus Platzgründen nur drei Beispiele:

Sisi hat sich nie politisch betätigt

• 1.) Der Gedanke, die Kaiserin könne sich nachts heimlich und allein aus dem Schloss und durch dunkle Gassen bis in ein Bordell geschlichen haben, um sich dort von einer der Prostituierten in horizontalen Angelegenheiten beraten und so auf das Eheleben mit Franz Joseph vorbereiten zu lassen (1. Staffel) und mit dieser anzufreunden, ist so abwegig wie der spätere Handlungsstrang, dass die uneheliche Tochter der Prostituierten von Sissi in die kaiserliche Familie aufgenommen wird und fortan unter anderem daneben sitzt, während der Kaiser seine Akten studiert, weil Sissi es der wegen verräterischer Umtriebe gehenkten Mutter versprochen hatte, sich nach deren Tod um die Kleine zu kümmern.

• 2.) Sissi hat sich nie politisch betätigt. Im Gegenteil: Sobald sie dem Haus Habsburg den von ihr erwarteten Thronfolger geboren hatte, war sie fortan unter dem Vorwand medizinischer Notwendigkeit die meiste Zeit auf Reisen durch die Welt, unter anderem nach Griechenland, und dachte gar nicht an die Verantwortung, die sie ihrem Land in ihrer Position und mit ihren Privilegien schuldig war. Auch ein Eheleben fand nicht mehr statt, zumal der Kaiser parallel von Beginn der Ehe an ein Lotterleben geführt und seine Frau obendrein mit einer Geschlechtskrankheit infiziert haben soll.

Mit einer Ausnahme: Für Ungarn setzte sie sich ein, liebte das Land und lernte sogar Ungarisch, und sie konnte mit ihrem Einsatz tatsächlich Positives für die Ungarn und damit auch für den Kaiser bewirken. Das war es dann aber auch. Sie und der Graf Gyula Andrássy sollen von ungarischen Rebellen entführt und zwei Tage lang in einem Kerker mit Ketten gefesselt festgehalten worden sein, während Sisis Schwiegermutter Erzherzogin Sophie ihrem Sohn diese Information vorenthielt, damit er nicht mit einem Heer in Ungarn einrücke, um seine Gattin zu befreien? Nie gehört von der Räuberpistole.

• 3.) Sisi soll mit ihrer Mutter Herzogin Ludovika in Bayern im Schlepptau und ohne Wissen Franz Josephs zu Graf Otto von Bismarck gereist sein, um mit diesem in einer Kriegssituation günstige Bedingungen für Österreich auszuhandeln? Ebenfalls: nie gehört. Sie soll ferner mit der Kaiserin Eugénie, Gemahlin des Napoleon–Neffen Kaiser Napoleon III., ebenfalls in politische Verhandlungen gegangen sein, damit diese zugunsten Österreichs auf ihren Gatten einwirke? Und auch hier: nie gehört.

Gegen die RTL-Sisi sind sogar die alten Filme realistischer

Warum macht man das alles? Hätte man verlautbaren lassen „Eine Serie, inspiriert von Motiven aus Leben und Zeit der Kaiserin Elisabeth von Österreich“ – Okay, kann man machen. Doch nun wird wieder eine Generation von Sisi–Interessierten ein völlig falsches Bild von ihr bekommen. Sisi war bis auf die erwähnte Ausnahme keine einflussreiche politische Figur im Hintergrund! Sie interessierte sich ausschließlich für ihr eigenes Leben und von ihren Kindern auch nur für die Jüngste, Erzherzogin Marie Valerie, der sie mit ihrer Liebe förmlich die Luft zum Atmen nahm.

Heute wäre der Lebensstil einer schwerreichen Sisi nicht weiter auffällig. Vielleicht wäre Sisi, lebte sie heute, polyglotte Jetsetterin und Influencerin und hätte mit Fitness–Videos und als Magermodel Erfolg, war sie doch hocheitel und eine geradezu fanatische Sport-Treibende. Damals befremdlich mit ihrem eigenen Fitness–Studio im Palast, heute nichts Besonderes mehr. In der Serie beispielsweise wird dieser für Sisi doch so zentrale Aspekt nur angedeutet. Stattdessen halt: Abenteurerin inklusive Entführung und Hobby–Diplomatin.

Das ist so schade, denn wäre man bei den Fakten geblieben, hätte man problemlos eine spannende Serie drehen können, böte Elisabeths bewegtes Leben doch genug Stoff dafür. Ich hätte vor dem Ansehen der Serie nicht erwartet, dies anschließend zu konstatieren, doch verglichen mit dieser „Sisi“–Serie findet man in den 50er–Jahre–Spielfilmen die nackte Realität.

Verglichen mit der Serie wirken sie bei allem Zuckerguss geradezu wie Dokumentationen. Wenn schon eine konkrete historische Figur als Aufhänger einer Serie oder eines Films gewählt wird, sollte das Geschehen doch auch die Wahrheit vermitteln – zumindest ohne derartige Absurditäten. Außer wie gesagt, man deklariert das Ganze offen als Fantasie–Geschichte. So ist die Serie sicher unterhaltsam, in puncto historische Gegebenheiten jedoch ein Rundum–Flop. So schade.

Ideen für Staffel 3

Sollte die Serie weitere Staffeln bekommen, wovon ich ausgehe, darf man gespannt sein, welch hanebüchene Fantastereien uns dann erwarten. Sisi gibt vor, nach Griechenland zu segeln, reist stattdessen aber heimlich nach Berlin und beginnt dort hinter dem Rücken der Kaiserin Auguste Victoria eine Affäre mit Kaiser Wilhelm II., wobei sie für Österreich fantastische Konditionen aushandeln kann?

Sisi besucht bei ihren England–Aufenthalten Queen Victoria und reitet bei ihren waghalsigen Ausritten versehentlich deren Lieblingspferd zu Tode, worauf ein Krieg zwischen England und Österreich nur dadurch in allerletzter Minute abgewandt werden kann, dass der entsetzte Franz Joseph persönlich ein neues Reitpferd (natürlich ein ungarisches aus dem Gestüt des Grafen Andrássy, bei dem der Kaiser dafür erst zu Kreuze kriechen muss) nach England begleitet, um so die Queen zu versöhnen?

Der Fantasie sind ja keine Grenzen gesetzt. Stehe gerne als Drehbuchautorin zur Verfügung. Nicht.

Sisi kann auf RTL+ gestreamt werden.

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