Danke, Paris Hilton!

In ihrer neuen YouTube-Doku macht Paris Hilton aus der angeblichen Störung ADHS eine Superkraft

Ein Kommentar des Kinder- und Jugendpsychiaters Josef Eduard Kirchner

Sehr geehrte Paris Hilton, danke für Ihren Mut, aus einem sozialen Stigma ein Qualitätsmerkmal zu formulieren! Sie sprechen mir aus dem Herzen und legen den Finger in eine soziale Wunde unserer Gesellschaft. Besonders bei uns in Deutschland ist ein ADHS-Mensch stigmatisiert und wird an der Entwicklung seiner persönlichen Möglichkeiten vom ersten Schultag an gehindert.

Da ich selbst Betroffener bin, habe ich es auf meinem eigenen Weg durch unser Bildungssystem durchlitten. Mein Vater (von Beruf Lehrer) konnte schimpfen oder mir regelmäßig Ohrfeigen geben, die Flüchtigkeitsfehler wurden nicht weniger, die Schrift blieb eine „Sauklaue“ und am Anfang jeder Mathematikarbeit hatte ich einen Blackout, obwohl ich alles verstanden hatte.

Einerseits predigen unsere Pädagogik-Expert*innen gerne die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Individualität, andererseits wird spätestens in der weiterführenden Schule die Anpassung an die Norm des Standardschülers erwartet und Nichtanpassung bestraft. Erziehungsfehler der Eltern werden gerne als Ursache des Problems vermutet und es werden Versuche der Symptombeseitigung mittels Erziehungsberatung, Therapie, Neurofeedback und vielem mehr gestartet.

Bei eher wenig ausgeprägten ADHS-lern können diese Maßnahmen durchaus von Erfolg gekrönt sein, leider aber nicht immer. Wenn wir uns die Statistiken ansehen, haben Menschen mit ADHS/ADS eine schlechtere Sozialprognose, eine verkürzte Lebensdauer, ein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen wie Depression, Diabetes, Adipositas (Fettleibigkeit), Alkohol- und/oder Drogensucht, Kettenrauchen und eine auffällige Neigung zur Straffälligkeit.

Paris Hilton und das „Pinguin Problem“

Dabei ist all das nur ein „Pinguin-Problem“. Ein Pinguin auf dem Land wirkt tollpatschig und hilflos, ist aber einfach fehl am Platze. Ein Pinguin im Wasser ist ein genialer, bewundernswerter Jäger! Ich bedanke mich bei ihnen Paris Hilton, dass sie uns ADHSlern Mut machen wollen, sich nicht als Defizit zu betrachten, sondern als Spezialisten, die noch nicht ihre passende ökologische Nische gefunden haben.

Wenn es Ihnen gelingt, Betroffenen zu helfen, nicht immer nur ihre Defizite zu bekämpfen, sondern nach eigenen Stärken zu suchen, können Sie zum Segen für Millionen unglücklicher Mitmenschen jeden Alters werden. Helfen Sie uns ADHSlern nicht benachteiligt zu werden, weil wir der Norm nicht ganz entsprechen, sondern entzünden Sie die Flamme der Begeisterung dafür, so zu sein, wie wir sind und das Beste daraus zu machen! Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Erfolg dabei.

Ich hatte das persönliche Glück, meine ökologische Nische zu finden. Nach sechs Jahren Wartezeit bekam ich schließlich meinen Studienplatz in Medizin, fand zufällig den Weg in die Kinder- und Jugendpsychiatrie und darf mein Geld heute damit verdienen, auf meinem Hintern zu sitzen und mit ständig neuen netten Menschen gescheit daherzuschwätzen. Das habe ich schon als Jugendlicher am liebsten getan.

Josef Kirchner