Ein Kommentar des Kinder- und Jugendpsychiaters Josef Eduard Kirchner
Sehr geehrter Twenty4tim, danke, dass Sie das Thema Essstörungen bei Männern in Ihrer herzerfrischenden Art in die Öffentlichkeit tragen. Dass Essstörungen bei Frauen nicht so selten sind, wissen wir seit Lady Di. Auch Kaiserin Sissi war davon betroffen. Ich freue mich für Sie, dass Sie die Symptomkontrolle so gut hinbekommen, würde aber gerne noch einen Ausflug in die tiefenpsychologischen Hintergründe beschreiben.
Als Teenager hatten Sie zunächst Übergewicht, was vermuten lässt, dass Sie es nicht leicht hatten, sich anerkannt und wertgeschätzt zu fühlen und daher quasi zum „Frustesser“ wurden. Sie zeigen sich ja heute als eher rebellischer und mutiger Mann und ich nehme an, dass Sie in der Schule und Ihrer Familie oft angeeckt sind, was dann zu Kritik, Entwertung und Demütigung geführt haben wird.
Übergewichtige Teenager sind leider immer noch beliebte Mobbinopfer und versuchen verzweifelt aus der Falle des Übergewichtes zu entkommen. Wenn es ihnen gelingt abzunehmen, kommen plötzlich anerkennende Kommentare nach dem Motto: „Ich wünschte, ich könnte das auch! Aber ich schaffe es einfach nicht abzunehmen.“ und schon sitzen sie in der Falle.
Essstörungen gefährlicher als Krebs
Endlich ein bisschen Anerkennung für die eigenen Mühen. So kann Abnehmen zur Suchtdroge werden und die Magersucht wird zur logischen Konsequenz. Wer aber meint, Magersucht wäre nur eine verrückte Laune von Teenagern, unterschätzt das Problem. Hätte man die Wahl zwischen der Diagnose Anorexie oder Leukämie, sollte man sich besser die Leukämie aussuchen. Bei der Leukämie sterben ca. 10% der Betroffenen, bei der Anorexie ca. 20%. Es handelt sich also um eine lebensbedrohliche Erkrankung, gefährlicher als Krebs.
Im Jahr 2005 erschien das Buch: „Darüber spricht man(n) nicht“ von Bernhard Wappis, der selbst betroffen von Anorexie war und über seine Krankheit und seine Heilung schrieb. Das Buch ist im Gebrauchthandel zu bekommen und ich empfehle es gerne als Orientierung zur Verbesserung des Verständnis für diese Problematik. Leider ist dieses Thema bisher viel zu wenig beachtet worden, weil Männer Herzinfarkte oder Lungenkrebs kriegen dürfen, aber keine „Frauenkrankheit“ wie Anorexie.
Ich hoffe, Sie helfen den Betroffenen und den Risikoträgern, ihr Problem zu akzeptieren und Lösungen zu finden. Zur Zeit geht man davon aus, dass 0,2% der Männer in unserem Land im Laufe ihres Lebens an Anorexie erkranken. Bei Frauen rechnet man mit 1,4% also siebenmal so oft. Anorexie ist keine internistische oder neurologische Erkrankung, sondern psychoreaktiv, also keine plausible Reaktion auf krank machende Umstände. Sie ist leider oft ein verzweifelter Lösungsversuch eigener Probleme, die man nicht selbst gemacht hat, die einem aber zu oft vorgeworfen werden.
Im Grunde unterscheiden sich die Therapieziele bei Männern nicht von den Zielen bei Frauen. Es geht um Stärkung der Autonomie also Selbstbestimmung, Selbstakzeptanz und Wertschätzung der eigenen Person, egal wie man(n) ist. Betroffene von Anorexie leben ein Leben, das sie als aufgezwungen empfinden und die Entscheidung zu essen oder zu hungern bleibt ihnen als letzte Bastion der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten oder auch der verzweifelten Selbstwertstabilisierung.
Anorexie ist so hartnäckig, weil sie der offensichtliche Beweis der Selbstbestimmung ist, und viele einen um diese Fähigkeit der Selbstbeherrschung beneiden, so wird sie auch zur Sucht. Leider oft bis in den Tod.
Twenty4Tim als wichtiger Botschafter
Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich ungefragt in Ihrer Jugend heruminterpretiert habe, aber nach vielen weiblichen und männlichen AnorexiepatientInnen habe ich immer wieder die gleichen Muster in der Vergangenheit und den jeweiligen Reaktionen darauf gefunden. Bei jedem ist es etwas anders, aber ähnlich.
Meinen PatientInnen sage ich gegen Ende der Therapie, sie sollen die Anorexie nicht als Feindin, sondern als Freundin betrachten. Wenn dann die Anorexie einem mal auf die Schulter tippt und die Waage Gewichtsabnahme zeigt, sollen sie genau hinschauen, wo in ihrem Leben gerade wieder eine Einmischung stattfindet, die man noch nicht als solche erkannt hat. Wenn dann die Einmischung abgewehrt wurde, normalisiert sich das Gewicht fast immer von alleine.
Ich bitte Sie, tragen Sie dazu bei, die Botschaft zu transportieren, dass jeder Mensch Respekt, Anstand und Würde verdient hat und keine Kränkung, Mobbing oder Demütigung!
Josef Kirchner
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